Minimal Music
Definition/Begrifflichkeit
Es ist schwer, Minimal Music selbst als Musikrichtung zu definieren. Viel mehr verbirgt sich hinter dieser Begrifflichkeit: Einflüsse, beziehungsweise Wurzeln der Repetitive und Meditative Music, die, abhängig von Arbeitsweisen und Konzepten ihrer Vertreter, in völlig unterschiedliche Klangerlebnisse resultieren können.
Gemeinhin wurde im theoretischen Umgang mit minimalistischen Werken trotzdem versucht, diese zuzuordnen – wie auch der Begriff „minimalistisch“ als Verweis auf minimale Instrumentation und tonaler Verwendung schon eine Zuordnung darstellt. Die Bewertungen stützen sich hierbei auf Ähnlichkeiten beziehungsweise Merkmale innerhalb der Minimal Music, auf die hier jedoch noch im weiteren Verlauf eingegangen wird.
Entstehung/Historie
Als ungefähren Entstehungszeitpunkt können die 1960´iger Jahre bezeichnet werden. Wie die verwandte „Minimal Art“ der 1970´iger , proklamierte die in den U.S.A. entstandene Minimal Music die bewusste ideelle Abkehr von komplexer europäischer Musik der späten 1950´iger Jahre.
Die „ursprüngliche“ Minimal Music verarbeitet signifikante Einflüssen aus asiatischer und afrikanischer in sich, insbesondere deren Polyrythmik. In moderneren Formen des „Minimal“ sind jedoch ebenfalls Einflüsse des Psychodelic Rock und Trance zu erkennen. Die exakte zeitliche Einordnung ist wie die Definition besonders schwierig, da die Grenze zum Post-Minimalismus eher fließend ist, von diesem soll ab den 1970´iger Jahren gesprochen werden. Kennzeichnend für die Minimal Music ist die größtmögliche Einfachheit der musikalischen Gestaltung sowie eine starke Reduktion des einzusetzenden musikalischen Materials. Dies betrifft vor allem Tonvorrat und -umfang und die Möglichkeiten der Ausformung – der üblichen kompositorischen Mittel wie Rhythmisierung, Umkehrung der Tonfolgen etc…
Charakteristika/Merkmale
Grundlegende Merkmale der Minimal Music sind unter anderem:
Wiederholende Strukturen; Aneinanderreihung melodischer, rhythmischer oder harmonischer Formeln oder “patterns”
- stabile Harmonik, tonale Musiksprache mit vielen Konsonanzen .
- additive Prozesse: Durch Hinzufügen einzelner Noten zu den “patterns” werden diese in ihrer rhythmischen Struktur verändert.
- Phasenverschiebungen, Überlagerungen, Akzentverschiebungen innerhalb eines Klangteppiches.
- Kontinuität und Vermeidung von Spannungsaufbau.
- Klangfarbe und -dichte werden wenig verändert.
- Eindruck eines Fragmentes aus einem permanenten musikalischen Kontinuum.
- erweiterter Zeitbegriff: Neue Dimensionen in der Dauer der Stücke – von wenigen Sekunden oder Minuten zu Stunden, Tagen, Wochen
Dies sind jedoch nur einige Merkmale, die Minimal Music bezeichnen, aufgrund der Komplexität ist es nahezu unmöglich, alle hier aufzuzählen.
Kennzeichnend für die Minimal Music im Allgemeinen ist die minimale Verwendung der Instrumente und Noten, der größtmöglichen Einfachheit der musikalischen Gestaltung. Die allmähliche Verändern eines musischen „Musters“, oder wie die offizielle Website „minimal-music.com“ es als „…allmähliche, sensible Veränderung (…) Idee der Metamorphose“ beschreibt, ist ebenfalls typisch für die Klassifizierung der Minimal Music.
Pioniere/Hauptvertreter der Minimal Music
La Monte Young
La Monte Young experimentierte in seiner letzten Kompositionsphase mit dem minimalisierten Element; dem einzelnen, frei stehenden Ton. Erfahrungen im Bereichen Jazz und experimenteller elektronischer Musik kennzeichneten seine Kompositionsrichtung, nicht zuletzt durch Improvisationselemente und Klangfarbenexperimente der damaligen Jazz-Szene. Von John Cage inspiriert, versuchte er zunehmend, elektronisch bzw. durch Tonbandgeräte erzeugte Klänge zu verwenden, da diese ein weiteres Spektrum der musikalischen Gestaltung eröffneten: Erstmals war die Veränderung der Frequenzen, Ton-Verfremdungsaspekten und Tonmodulation möglich. Hier deckt sich die Gemeinsamkeit zwischen den Pionieren der Minimal Music mit den charakteristischen Merkmalen eben dieser. Eine weitere Gemeinsamkeit der 4 Pioniere stellt das Studium der indischen Gesangs- und Musikgestaltung dar, welchen La Monte Young besonders intensiv verfolgte.
Im Vergleich zu seinen Mitvertretern der Minimal Music ging La Monte bald einen eigenen Weg: Der Schwerpunkt seiner Melodien lagen in der Harmoniebildung; er schrieb später ausschließlich Stücke in reiner Stimmung. (Stücke, in deren Akkordverbindungen nur die reinen Intervalle Terz,
Quinte und Oktave verwendet werden)
Mitmusiker wie Terry Riley benutzen gleichstufige wie auch reine Stimmung, allerdings beides mitnichten so ausschließlich wie La Monte Young.
Terry Riley
Terry Riley lernte La Monte Young im Jahr 1960 kennen, als dieser schon einige Erfahrungen im Bereich minimalistischer Kompositionen gesammelt hatte. Im Vergleich zu La Monte Young konzentrierte sich Riley eher auf repetitive Elemente als auf den Versuch, harmonisch lang angehaltene Töne miteinander zu verbinden. Dies zeigt deutlich sein wohl bekanntestes Stück „In C“. Darüber hinaus beschäftigte er sich ebenfalls mit der (damals) modernen Tonverarbeitungstechnik, die ihm besonders Elemente der Wiederholung und Verfremdung eröffnete. Ebenso wie La Monte Young veranlasste sein Studium indischer Musikgestaltung und – kultur ihn diese als Elemente in seiner Musik zu verarbeiten, zu versuchen, indische und westliche Musikkultur miteinander zu verbinden.
Steve Reich
Steve Reich war – bevor er sein Schaffen der Minimal Music zu wandte, musikalisch sehr vielseitig.
Neben seinem Schlagzeugstudium beschäftigte er sich unter anderem mit Jazz, afrikanischen Drum-Elementen und dem Intensivstudium ausgesuchter Kompositionen. 1965 schließlich wurde sein Interesse der minimalen Musikgestaltung geweckt, als er Pete Riley half, dessen Stück „In C“ musikalisch zu realisieren. Seine Kenntnisse am Schlagzeug beeinflussten ihn im weiteren beträchtlich: Rhythmische Probleme, das Prinzip der Phasenverschiebung und elektronischen Klangquellen waren fortan die Hauptfelder, mit denen sich Steve Reich beschäftigte.
Das Phänomen der Phasenverschiebung einsteht, wenn zwei gleiche Tonbänder gleichzeitig abgespielt werden, jedoch minimal ungleiche Abspielgeschwindigkeit Interferenzen entstehen.
Komposition wie „Piano Phase“ zeugen von Versuchen mit Phasenverschiebungen, sein Werk „Clapping Music“ beschäftigt sich noch detaillierter mit der Besonderheit der unmittelbaren, sofortigen Phasenverschiebung.
Das Musikstück „Clapping Music“ wird im späteren Verlauf dieser Ausführungen noch exemplarisch analysiert.
Phillip Glass
Phillip Glass stieß 1965 in den Kreis der „Minimalisten“. Nachdem er bis dahin überwiegend atonale Musik schrieb, fand in seinem Denken nach einem Besuch in Paris ein bewusster Gedankenumbruch hinsichtlich Kompositionen statt. Der Grund dieses Besuches war eine Art Selbstfindungsphase; Phillip Glass war auf der Suche nach der eigenen musikalischen Identität.
In Paris lernte er indische Komponisten und Interpreten kennen, die ihm Einblicke in die komplexe indische Musikgestaltung gaben. Außerdem bezeichnete dies den Bruch mit seinen bisherigen Konventionen, sowie den Start zur eigenen musikalischen Weiterentwicklung.
Als er von einem Besuch aus Indien in die U.S.A. Zurückkehrte, traf er auf Steve Reich, der dort schon seit geraumer Zeit mit Minimal Music experimentierte. Dieses Treffen änderte Glass`Auffassung von Musik. Er schrieb zunächst, maßgeblich von Steve Reich beeinflusst, harmonische Stücke mit minimaler Instrumentalisierung, und repetitiven Elementen in Melodie und Rhythmik. Er erfand den Begriff „additive Prozesse“ für sein Verfahren, die melodische und rhythmische Struktur einer Komposition durch Hinzufügen einzelner Töne nachhaltig zu verändern.
Schließlich fand er vollständig seinen eigenen Stil innerhalb der Minimal Music: Er war/ist der Meinung, dass der Zuhörer und die Wirkung der Musik im Mittelpunkt stehe, und dass formale Strukturen gegenüber dem akustischem Effekt eher zweitrangig seien.
Beispiel/Analyse eines Stückes aus der Minimal Music
„Clappin Music“ (1972) von Steve Reich
Der hier vorliegende Auszug zeigt, wie Steve Reich umsetzte, alleine durch Phasenverschiebung beziehungsweise überwiegend repetitive Einflüsse ein Stück zu erstellen, das – bis auf 4 Hände – keine weitere Instrumentation benötigt.
Das Stück ist im Ganzen (Original) in 13 Takte unterteilt, die jeweils zwölfmal wiederholt werden.
Die Besonderheit ist hier, dass die erste „ Stimme“ (clap 1), durchgehend die Aufgabe inne hat, gleich im vorgegeben Rhythmus zu klatschen, klopfen etc. Die Zweite Stimme steigt wie die Erste ein, ist im ersten Takt noch Synchron. Im zweiten überspringt sie jedoch eine Achtelnote, allerdings ist die der übersprungenen nachfolgenden Note wieder parallel zum Anfang des „basic pattern“ der ersten Stimme. Zusammengefasst bedeutet das, dass die erste Stimme/erster Interpret eine festgelegte, sich immer wiederholende Basis spielt, während der zweite abrupt, nach anfänglichem unisono, die erste Achtelnote mit jedem Takt überspringt, bis sie wieder unisono mit der Ersten Stimme ist.
Interessant ist hierbei, dass keine metrische Vorgabe gegeben ist, um in dem Stück neben rhythmischen Akzenten keine weiteren in der Vorgabe des Taktes zu setzen.
Die abrupten Übergänge zwischen den Takten zeigen die Vorgehensweise Steve Reichs bezüglich unmittelbarer Phasenverschiebungen: Ohne überleitende Sequenzen wird durch Weglassen einer Note ein „Sprung“ im Notenbild erreicht, der ein spezielles Klangerlebnis zur Folge hat.
Minimal Music im Wandel
Stellte die Minimal Music um 1960 noch eine bewusste Abkehr der starren Konventionen zur europäischen Klassik dar, so haben sich mit der moderneren, beziehungsweise dem Post – Minimalismus weitreichendere Möglichkeiten aufgetan. Einer der Begründer und Pioniere der Minimal Music, Phillip Glass, zeigte eindrucksvoll wie aus Begeisterungsfähigkeit einzelner eine Massenbewegung wurde, die ein Brücke über die Kluft des Tabus zwischen Pop und Klassik schlug. Nicht umsonst gilt Glass bis heute als einer der populärsten (ursprünglichen) Minimal Music – Vertreter.
Wann der Wandel zum „neuen“ Minimalismus von statten ging, und wer dessen Hauptvertreter waren, lässt sich leider nur schwer bis überhaupt nicht definieren. Viele Musiker versuchten sich über Jahre in einigen Experimenten bezüglich der Minimal Music, unter anderem auch solche, die sich auf dem Grat zwischen Pop/Rock und Klassik befanden, wie z.B. Mike Oldfield und Brian Eno. Jedoch hatten diese Experimente meist eher wenig mit der Musik eines La Monte Young gemeinsam.
Minimal heute – Fazit
Bemerkenswert finde ich, dass heute bis auf wenige (entweder speziell Interessierte oder Ausgebildete) sich kaum jemand mehr etwas unter dem Begriff der „ursprünglichen“ Minimal Music vorstellen kann.
Minimal Music hat heute eine ganz andere Definition/Intention, und wird eher der Musiksparte Trance/Techno zugeordnet. Zumindest Grundelemente scheinen geblieben zu sein: Rhythmische, pulsierende Bässe, einprägsam wiederholte Tonfolgen, die durch das Hinzufügen oder Verändern bestimmter Töne definiert werden.